Quantcast
Channel: debattiersalon
Viewing all articles
Browse latest Browse all 155

Ein bisschen mehr Snowden!

$
0
0

Von Marion Kraske

Die Welt rätselt derzeit: Was wird aus dem Prism-Enthüller Edward Snowden? Was wird aus dem Mann, der – wie schon WikiLeaks-Gründer Julian Assange – politisches Asyl in Ecuador beantragt hat? Wird er sich auch tatsächlich dorthin begeben? Der Akt ist zweifelsfrei bemerkenswert: Ein Mitbürger aus dem Land, das sich seiner uneingeschränkten Freiheiten rühmt – also in besonderem Maße auch der Meinungsfreiheit – will sich freiwillig in die Obhut ausgerechnet jenes lateinamerikanischen Landes begeben, in dem es – um es freundlich auszudrücken – mit der Wahrung der Grundrechte und eben dieser Meinungsfreiheit nicht eben zum besten bestellt ist.

Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen kritisiert immer wieder das rigide Vorgehen des ecuadorianischen Präsidenten gegen kritische Journalisten, der landesweit bekannte Kolumnist Emilio Palacio floh vor der Verfolgung in die USA (!) und erhielt dort im vergangenen Jahr Asyl.

Snowdens Asylgesuch in eben diesem Land macht die ganze Verzweiflung des jungen IT-Spezialisten deutlich. Island, immerhin als diplomatisch neutrales Terrain gerühmt, war ebenfalls als Zielland im Gespräch und erschien Snowden augenscheinlich doch nicht sicher genug, um sich dauerhaft vor dem Zugriff amerikanischer Behörden schützen zu können. In den USA droht Snowden ein Prozess mit offenem Ende, seine Enthüllungen über das Ausspähprogramm Prism, so der Vorwurf, sollen den Straftatbestand der Spionage erfüllen. Fragt sich nur, wer da eigentlich spioniert hat…

Denn im Zuge der Spekulationen über Snowdens künftigen Aufenthaltsort gerät der eigentliche Skandal fast in Vergessenheit: Die massenhafte Überwachung von Bürgern durch amerikanischen Behörden. Weil Snowden diese ungeheuerlichen staatliche Ausschweifungen in einem hochsensiblen Bereich öffentlich machte und anprangerte, die den strahlenden Helden Barack Obama neuerlich in höchst zweifelhaftem Licht erscheinen lassen, soll er nun angeklagt werden. Er gilt hochoffiziell als Landesverräter. Dabei ist der eigenliche Verräter am Volke ohne Zweifel ein anderer: Obama. Das Ausschnüffeln von Redaktionen, das breit angelegte Ausspähen von Bürgern ist nicht eben das, was man sich vom einstigen Hoffnungsträger im Weißen Haus erwartet hat.

Denn war es nicht Obama, der antrat, die politische Welt neu und besser gestalten zu wollen? War es nicht Obama, der der Öffentlichkeit einen neuen Politikstil in Aussicht stellte: Yes, we can! Alles ist möglich! Viele glaubten ihm und wählten ihn ins hohe Amt, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie genug hatten von der paranoid agierenden Kriegstreiberadministration eines ideologisch verblendeten George W. Bush.

Die besondere Ironie im Fall Snoweden liegt daher auch darin, dass ausgerechnet ein Bürger jenes Landes, dessen politischer Kopf vor noch nicht allzu langer Zeit den Friedensnobelpreis erhielt – weiß eigentlich noch jemand für welche politische Großleistung? – sich gezwungen sieht, aus Angst vor juristischer Verfolgung seiner Heimat den Rücken zu kehren, zusammen mit seiner Freundin gut dotierte Jobs zurück zu lassen, um nichts weniger einzufordern als das, was den Amerikanern eigentlich von jeher als höchstes und schützenswertes Gut gilt: Freiheit, in diesem Falle Freiheit im Netz.

Und so ist das Problem nicht die Tatsache, dass sich Snowden während seiner Flucht ausgerechnet an Ecuadors schwache Demokratie wendet und dass eben diese schwache Demokratie die Snowdens und Assanges dieser Welt nutzt, um sich als Hüter demokratischer Werte zu gerieren. Das wahre Problem ist, dass Amerika sich mit diesen schwachen Demokratien auf eine Stufe stellt, indem es Grundrechte ebenso mit Füßen tritt, indem es die mit Hilfe seiner Geheimdienste die Privatsphäre eines jeden abschafft, der es wagt, im weltweiten Datennetz seine Spuren zu hinterlassen.

Die Enttäuschung über Big Brother Obama ist daher zurecht gewaltig. „Yes, we scan!“, wurde er von wütenden Demonstranten bei seinem jüngsten Berlin-Besuch begrüßt. Wo aber waren die klaren Worte von Kanzlerin Angela Merkel? Wo ist der politische Aufschrei über die massenhafte Ausschnüffelung von Daten im Netz (noch dazu ohne Anlass)? Doch Berlin und andere Regierungen schweigen mal wieder, wie so oft, wenn es um Grundsätzliches geht. Sicherlich, einige Regierungen schweigen aus gutem Grund. Die ungehemmte Sammlung privater Daten seitens der US-Behörden wird aber auch dadurch nicht besser, dass britische Geheimdienstler bei der Durchleuchtung von Privatpersonen augenscheinlich noch dreister, noch rücksichtsloser zu Werke gehen. Es verdeutlicht nur, wie sehr wir alle, auch hier in Europa, zur wehrlosen Masse für außer Kontrolle geratene Datensammler geworden sind. Was technisch geht, so die bittere Erkenntnis, wird auch gemacht.

Die öffentliche Erregung über den Fall Snowden ist groß. Doch ist sie das wirklich? Werden nicht morgen alle im worldwideweb, dem Tummelplatz der geheimdienstlichen Häher und Späher dies und jenseits des Atlantiks trotz der brisanten Enthüllungen fröhlich zur Tagesordnung übergehen? Werden sie nicht wie wild Privates und Sensibles preis geben, ihre Shoppinggewohnheiten und Hobbys kundtun, liken was das Zeug hält, persönliche Treffen mit Freunden posten, wo auch immer sie sich gerade aufhalten, ungeschützt gar die Urlaubsfotos des Nachwuchses präsentieren, als seien Facebook und andere soziale Netzwerke vor fremden Blicken geschützt wie einst das gute alte Poesiealbum?

Angesichts des skandalösen Vorgehens amerikanischer (und britischer) Geheimdienststellen, die die Privatsphäre von uns allen bis ins letzte Detail ausforschen, gehört dem zivilen Ungehorsam eines Whistleblowers wie Snowden mein größter Respekt. Und doch kann ein Einziger der weltweit grassierenden Überwachungshysterie nichts entgegensetzen. Vielmehr sind wir alle gefragt: Je bewusster wir mit unseren persönlichen Informationen umgehen, je weniger Daten wir preisgeben, desto weniger können sie von staatlichen Instanzen aufgesaugt werden. Das Motto für uns Internet-Nutzer müsste daher sein: Ein bisschen mehr kritische Distanz, ein bisschen mehr Snowden statt willfähiger Masse.

flattr this!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 155

Latest Images

Trending Articles





Latest Images